Dushan-Wegner

04.01.2023

Frau L. gewinnt viele besondere Eindrücke

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: DW via Stable Diffusion
Die Verteidigungsministerin stellt fest, dass mitten in Europa ein Krieg tobt, doch sie sei froh, dass sie so »viele besondere Eindrücke« gewinnen konnte. Uff. Solche Politiker sollen die besten sein, die Deutschland für ihr jeweiliges Amt finden konnte?
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Es war einmal ein Querdenker, den die Gutmenschen zuletzt für sein delegitimierendes Geschwurbel hinrichten ließen – und ihre Angst vor ihm war berechtigt.

Er stellte sie mit simplen Worten bloß, und die schlichte Wahrheit seiner Worte hatte große Kraft, und man sagte, er lehre das Volk »mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten« (Matthäus 7:29). Oder, wie man heute auch sagt, wenn einer dem Volk die Wahrheit sagt: Er war Populist.

Einmal, als er wieder die Heuchelei der machthabenden Ideologen angeprangert hatte, kamen die Jünger jenes Querdenkers zu ihm, und warnten ihn: »Weißt du auch, dass die Pharisäer an dem Wort Anstoß nahmen, als sie es hörten?« (Matthäus 15:12)

Erschrak jener?

Trat er den Rückzug an?

Nein.

Was empfahl er dem Volk bezüglich der mächtigen Heuchler?

Die Antwort könnte überraschen – und sie findet sich als Redeweise in unserer Kultur, doch mancher, der sie zitiert, kennt die Quelle womöglich nicht.

Jesus sagt zu seinen Jüngern und wohl auch zum Volk, die Pharisäer betreffend: »Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer! Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube.« (Matthäus 15:14)

Mitten in Europa

Die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist selbst für das zuletzt nicht sehr hohe Niveau des Verteidigungsministeriums, ja selbst als SPD-Politikerin geradezu spektakulär fehlbesetzt.

Im Essay vom 10.5.2022 (»Auf Sylt ist weniger Stress«) notierte ich etwa, wie Verteidigungsministerin Lambrecht lässig mit der Luftwaffe in den Urlaub flog, während in der Ukraine gerade der Krieg begonnen hatte. Die Bundeswehr und ihre Ausstattung sind, und zwar länger schon, ein ganz eigenes Krisengebiet, was ein echtes Problem ist, wenn man als Armee in Krisengebieten eingesetzt werden könnte/sollte/wollte.

Zu Neujahr 2023 veröffentlichte Lambrecht ein Gruß-Video, in welchem sie, während hinter ihr die Böller krachen, folgende Sätze in dieser Reihenfolge sagt:

Mitten in Europa tobt ein Krieg. Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, tollen Menschen. Dafür sage ich ein herzliches Dankeschön. (Christine Lambrecht, via AFP bei YouTube)

Aus der CDU und auch in Mainstream-Medien fordert man ihren Rücktritt.

focus.de, 3.1.2022 schreibt: »Wüsste man es nicht besser, man könnte das Video für eine Parodie halten.«

Und: »Niemand, der noch einigermaßen reflektiert, was über die eigenen Lippen kommt, würde je so einen Satz raushauen.«

Zuvor deshalb: »Wer so um seinen Rausschmiss bettelt, sollte erhört werden.« (ebenda)

Diese Bewertung klingt richtig, doch unvollständig. Damit so ein Video veröffentlicht wird, muss eine Reihe von Fehlern hintereinander begangen werden, vor und nach dem Dreh.

Im Buch »Talking Points« weise ich maximal deutlich darauf hin, dass Politik ohne vorbereitete Sprach- und Gedankenfragmente zu treiben gerade im Social-Media-Zeitalter grob leichtsinnig ist.

Jedoch, Lambrechts Fehler war ja nicht nur, dass sie keine geprüften Talking Points parat hatte, sondern aus dem Gedächtnis und der Laune heraus ad hoc irgendwelche Bruchstücke rezitierte, die ihr Gehirn so hervorsprudelte, wohl in der Hoffnung, dass irgendwas davon schon noch »funktioniert« – bei Parteisitzungen klappte es doch auch.

Lange zuvor aber beging Lambrecht offenbar den unverzeihlichen Fehler, kein fähiges Personal eingestellt zu haben, dass ihr brauchbare Talking Points bereitlegt. Und später beging sie den Fehler, den Unfug online stellen zu lassen – auch weiterhin ohne Personal, welches kompetent genug gewesen wäre, ihr von dieser Schnapsidee abzuraten (und auf welches sie auch gehört hätte).

Wie kam sie da herauf?

Die aktuelle Verteidigungsministerin steht in guter neuer Tradition darin, dass auch sie uns als Politikerin an jenes Gleichnis von der Schildkröte auf einem Zaunpfosten erinnert (siehe engl. Wikipedia): Wenn du eine Schildkröte auf einem Zaunpfosten sitzen siehst, dann weißt du, dass sie da nicht hingehört.

Du fragst dich, wer sie da hingesetzt hat. Du weißt, dass sie nichts Vernünftiges verrichten wird, solange sie da sitzt. Und du willst ihr eigentlich nur helfen, da wieder herunterzukommen.

Nun, wer sie da hinaufhob, das wissen wir: Es sind die »Genossen«, also jene Partei, bei welcher die Dreistigkeit nicht eher akzidentell ist, wie etwa bei der Partei der Maskendeals, sondern geradezu der Markenkern ist, und zu der ich schon 2017 fragte: »Das sollen die Guten sein?«

Vorschlag für Urlaubstreff

Vielleicht hätte Frau Lambrecht sich einmal mit Herrn Scholz beraten sollen, der nicht selten wortreich nichts sagt – zumindest nichts zur gestellten Frage. Da sie ja beide schon mal mit Staatsflieger in den Urlaub jetten, hätte sie ja zu Weihnachten bei Herrn Scholz auf Lanzarote vorbeikommen können. (Siehe teneriffa-news.com, 22.12.2022; bei Welt, BILD, Spiegel und Tagesschau finde ich es übrigens nicht – die Presse des Propagandastaates weiß offenbar, wann sie diskret zu sein hat.)

Auf Lanzarote aber hätten die beiden Genossen die »Casa Saramago« besuchen können (acasajosesaramago.com). Es ist ein hübsches Anwesen, das aus stolzer Höhe die Stadt und die Bucht darunter überblickt. Jose Saramago schrieb dort das Buch, nach dessen Veröffentlichung ihm relativ bald der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde.

Das Buch heißt »Die Stadt der Blinden«, und handelt, wie der Titel ganz richtig andeutet, von einer Stadt, die nach und nach erblindet – und wer nicht erblindet, sollte dies zur eigenen Sicherheit verheimlichen.

Nicht zu sehen

Wir hier unten schimpfen auf Politiker, wie blind sie doch seien, doch wie sehend sind wir!

Man muss weder an Siebentageschöpfung noch an Jungfrauengeburt, ja nicht einmal an die Wiederauferstehung glauben, um zu spüren, dass es auch unsere Großkopferten sind, die Jesus beschreibt, wenn er sagt: »Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer!«

Wir kennen ja das Zitat von Upton Sinclair, wonach man einen Mann nicht davon überzeugen kann, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen.

Es gilt wohl nicht nur für Männer, sondern auch für das schöne Geschlecht. Und es gilt fürs Sehen selbst. Wir können eine Politikerkaste nicht vom Sehen überzeugen, wenn ihre Karriere darauf begründet ist, für die Realität außer ihrer Partei- und Politkarriere blind zu sein – ethisch und emotional blind.

Selbst für die eigene

Manche von denen sind immerhin klug genug, ihre Blindheit zu ahnen, und also Was-mit-Medien-Typen einzustellen, welche Kontakt zur Realität halten. Doch manche Politiker sind selbst für die eigene Blindheit blind, und die stellen dann fest, dass ein Krieg »tobt«, doch sie dankbar dafür sind, auf diese Weise »ganz viele besondere Eindrücke« gesammelt zu haben.

»Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube«, so mahnt Jesus, und also bleibt unsere erste Aufgabe auch in 2023: Hinsehen, sich ehrlich machen, die Realität als solche wahrnehmen – und doch bei allem, so gut es geht, den guten Mut nicht zu verlieren.

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